Es gibt eine fast einfache Formel, die viele Paarbeziehungen retten könnte. Die Frau möchte sich begehrt fühlen – und der Mann möchte eine Erektion. Und das am besten zuverlässig und pünktlich wie ein ICE. Nun sieht die Realität oft ganz anders aus – zumindest von den Paaren, die ich in meiner Hamburger Praxis begrüße. Ich erlebe immer mehr Männer vermeidlich „lustlos“ und Frauen zunehmend lustvoll und von ihren Männern unbefriedigt (in der Vorstellung viele Frauen, ist dies auch die „Aufgabe“ des Mannes, sie zu befriedigen).
Woran liegt das nur – dass in unserer heutigen Zeit immer mehr Männer vormals typisch weibliche Attribute annehmen? Lange Zeit gab es nur „frigide“ Frauen aber doch keine frigiden Männer. Die gab es einfach nicht. Und die, die es gab waren einfach nur „Schlappschwänze“. Woher kommen also die vielen natürlich lustlosen Männer – deren Hormonspiegel absolut in der Norm liegen und die auch sonst über keinerlei körperliche Dysfunktion klagen?
Sicherlich ist jedes Männerschicksal einzigartig – aber doch kann ich folgende Tendenz erkennen:
Endlich trauen sich Männer auch zu formulieren, wenn sie keine Lust haben. Damit ist aber oft etwas anderes gemeint, als man zunächst annehmen könnte. Ich erlebe diese lustlosen Männer als durchaus sexuell aktiv. Aber eben nicht mehr mit ihrer Partnerin. Die Sexualität, die sie sich wünschen, müsste anders aussehen ( Wissen Sie denn, wie genau?). Aufregend. Neu. Doch die Frau in ihrem Bett kennen sie schon viele Jahre – die Sexualität hat sich, anders als das Aussehen der Frau, nicht verändert.
Schnelle Abhilfe schaffen da gerne Frauen aus dem Netz. Diese Frauen bedienen die geheime Sehnsüchte und Fantasien, über die es schwer fällt zu sprechen. Außerdem sind sie zu jeder Tages und Nachtzeit verfügbar und das Beste – sie haben keine Ansprüche, die Mann gerne auch mal als „anstrengend“ bezeichnet.
Niemals zuvor, wurde soviel Porno geschaut, wie zur Zeit des Lockdowns. Mann legt lieber selber Hand an. Was daran liegen könnte, dass das Ziel ganz sicher erreicht wird. Dies meist effizient schnell und mit geübten Handgriff, den das beste Stück schon seit seiner Jugend kennt. Das ist ein Heimspiel – und der Punkt wird auf jeden Fall gemacht. Und ganz ehrlich – es gibt den Männern ein beruhigendes Gefühl. Er funktioniert. Das Selbstwertgefühl ist gerettet.
Doch selten geht es um ein ausgedehntes Liebesspiel mit sich selbst. Und es ist genau diese schnelle und fokussierte Entladung, die so manchem Mann in der Paarsexualität zu schaffen macht. Oft wird dann lieber auf den Paarsex verzichtet, als die Scham zu ertragen, nicht zu performen. Und nicht nur das. Ich erlebe Männer, die auf Zungenküssen oder andere intime Begegnungen verzichten – einfach weil sie Sorge haben, dass die Partnerin ja vielleicht in Fahrt kommen könnte. So wird die sexuelle Kluft zwischen den Paaren immer größer. Es werden eher freundschaftliche Küsschen ausgetauscht und die zärtliche Berührungen erinnern an ein bisschen an liebevolle Begrüßungsrituale mit der Oma. Kurz: Die Luft ist raus und die Vorstellung, dass es jemals anders war oder wieder sein könnte, nicht vorhanden.
Über das was da im Bett passiert oder eben nicht, wird selten gesprochen. Die Scham ist zu groß und die Überwindung Sexualität zum echten Beziehungsthema zu machen, hoch. Oft können sich Paare überhaupt nicht mehr vorstellen, WIE sie aus der Sex Sackgasse rauskommen könnten. Doch wie in vielen anderen Bereichen des Lebens, geht es auch hier darum, den ersten Schritt zu machen.
Sexologen oder Therapeuten können einen wunderbaren Raum schaffen, um Paaren einen „Reset“ ihrer Sexualität zu ermöglichen.
Wenn beide es wollen – kann man nicht nur zusammen ein Haus bauen – sondern sogar wieder lustvoll lieben.
Veröffentlich bei Mann oh Mann
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